Was meint ihr aber? Es hatte ein Mann zwei Söhne und ging zu dem ersten und sprach: Mein Sohn, geh hin und arbeite heute im Weinberg. Er antwortete aber und sprach: Nein, ich will nicht. Danach reute es ihn, und er ging hin. Und der Vater ging zum zweiten Sohn und sagte dasselbe. Der aber antwortete und sprach: Ja, Herr! und ging nicht hin. Wer von den beiden hat des Vaters Willen getan? (Mt 21,28-31)
Liebe Leserin, lieber Leser, was meinst du: „Wer von den beiden hat des Vaters Willen getan?“ Die Antwort, die einleuchtet, ist wohl diejenige, die auch hier von den Zuhörern gegeben wird: „Sie antworteten: Der erste“ (Mt 21,31), also der, der erst Nein gesagt hat und dann schließlich doch gekommen ist. Doch Jesus bestätigt nun gerade nicht die Antwort seine Zuhörer, sondern gibt eine ganz andere Antwort: Letztlich hat keiner von den beiden den Willen des Vaters ganz getan; es gibt nur einen Unterschied: ob Menschen dies selber erkennen und dementsprechend umkehren oder nicht (Mt 21,31-32). Er fordert seine Zuhörer, fordert auch uns nicht dazu auf, nun endlich ein anständiges Leben zu führen, endlich zu tun, was Gott von uns erwartet, damit wenigstens wir des Vaters Willen tun: solche die zu Gott und seinem Wort Ja sagen und es dann auch tun.
Hast du des Vaters Willen getan? Entscheidend ist nicht, wie wir Menschen über andere Menschen, und seien es auch andere Gemeindeglieder, urteilen. Entscheidend ist einzig und allein, wie Gott uns und andere Menschen sieht. Und der sagt zunächst einmal zu jedem, der durch die Taufe zu ihm, zu seiner Familie gehört: Mein Sohn, meine Tochter, mein Kind. Was auch immer die beiden Söhne sagen und tun: Sie bleiben Söhne, sie bleiben Kinder des Vaters, müssen sich ihre Kindschaft weder mit ihren Worten noch mit ihrem Tun verdienen.
Und dieser Vater ruft alle seine Kinder ohne Ausnahme in seinen Weinberg, dorthin, wo er auch selber zu finden ist, möchte nur dies eine, dass seine Kinder erkennen, dass es keine Strafe, keine Belastung ist, dorthin zu kommen, sondern dass es gut für einen jeden ist, der dieser Einladung, der dieser Aufforderung folgt. Und darum bestraft er hier auch keines seiner Kinder, wartet nur darauf, dass sie umkehren zu ihm, dass sie ihm und seinen Boten glauben, dass es das Beste für sie ist, seinem Wort, seiner Einladung zu folgen.
Eben so sollen wir also einen jeden Menschen, ganz gleich, ob er nun in unserer Gemeinde ist oder nicht, ansehen und beurteilen: als einen, der von Gott eingeladen ist, für immer in seiner Gemeinschaft zu leben. Keinem Menschen sollen wir absprechen, dass Gottes Einladung, dass Gottes Liebe auch ihm gilt, von niemandes Verhalten sollen wir uns abschrecken lassen und unser voreiliges Urteil fällen, während Gott immer noch wartet, sollen lieber vor unserer eigenen Inkonsequenz erschrecken (wie oft haben wir Gott in der Beichte schon Besserung versprochen, haben es damit vielleicht auch ganz ernst gemeint – und wie oft haben wir dann doch nicht getan, was er, der Herr, von uns erwartet hatte und auch erwarten konnte! Wie oft war auch auf unser Ja in Fragen des Glaubens und Bekennens kein Verlass!), als uns moralisch über das Verhalten anderer aufzuregen.
Beim großen Einzug in den Himmel am Ende der Zeit werden wir, Gott geb’s, hinter Prostituierten und Finanzbetrügern hergehen dürfen (Mt 21,31), werden wir einmal froh sein dürfen, mit ihnen den Himmel teilen zu dürfen. Am Ende zählt nicht, wie wir Menschen einander beurteilt haben, am Ende zählt nur Gottes Urteil über uns. Und Gott geb’s, dass wir immer wieder dort hingehen, wo Gott uns sein letztes Urteil über uns und unser Leben jetzt schon zuspricht: „Dir sind deine Sünden vergeben.“
Euer Pastor,
Martin Paul