Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten. Joh 20,23. Liebe Gemeinde, liebe Leserin, lieber Leser, warum gehen wir zur Beichte?
Warum feiern wir so regelmäßig die Beichte? Reicht das denn nicht, wenn wir sie nur einmal im Monat mal anbieten? Vielleicht magst du einwenden: Die Leute gehen heute ja nicht mehr zur Beichte; sie gehen lieber zum Psychiater. An dieser Beobachtung ist ja auch etwas Wahres dran; aber man hat die Beichte noch gar nicht recht verstanden, wenn man meine sie sei doch fast das gleiche wie eine Session mit einem Psychiater. Sondern in der Beichte geht es um etwas anderes.
Sonntäglich bekennen wir mit dem apostolischen Glaubensbekenntnis, dass Jesus Christus wiederkommen wird, „zu richten die Lebendigen und die Toten.“ Am Tag des Jüngsten Gerichts werden wir uns mit unserem Leben einmal vor Gott verantworten müssen. Wir werden vor dem Richterstuhl Christi einmal Rechenschaft geben müssen über jedes unnütze Wort, das wir geredet haben. Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht: Die Frage, ob und wie wir in dem Letzten Gericht vor Gott bestehen, ist und bleibt die wichtigste, die entscheidende Frage unseres Lebens.
Und sobald uns dies einmal aufgegangen ist, haben wir eine Antwort auf die Frage, warum wir zur Beichte gehen, weil wir in der Beichte genau auf diese Frage danach, ob und wie wir in Gottes Gericht bestehen werden, schon jetzt eine definitive Antwort finden, eine Antwort, die gerade auch noch am Jüngsten Tag gelten wird. Genau das und nicht weniger steckt in der Zusage, die der auferstandene Christus damals den Aposteln gegeben hat: „Welchen ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen“.
Was sich hier auf Erden, vorne am Altar vollzieht, das hat direkte Auswirkungen auf das, was sich einmal am Jüngsten Tag an uns vollziehen wird. Das ist vielleicht noch zu schwach gestellt. Was vorne am Altar passiert hat nicht nur Auswirkungen auf das, was am Jüngsten Tag passieren wird, sondern ist damit identisch: Mit dem Wort der Vergebung, das dir auf den Kopf zugesprochen wird, erklärt Gott all das, was in deinem Leben nicht in seinen Augen bestehen konnte, für endgültig gelöscht, so, dass er es in seinem Gericht endgültig nicht mehr zur Sprache bringen wird.
In der Beichte schließt Gott uns in seiner Geduld von neuem in seine Arme und tröstet uns, nimmt unsere Schuld weg und spricht uns frei. Aber nun geht es in der Beichte auch noch um Anderes. Es geht in ihr nicht nur um unser Verhältnis zu Gott, sondern auch um unser Verhältnis zueinander. Verhältnisse werden durch Schuld belastet. Wenn ich schuldig geworden bin, ist natürlich vor allem mein Verhältnis zu dem gestört, an dem ich schuldig geworden bin. Aber auch darüber hinaus ist auch mein Verhältnis zu anderen gestört, an denen ich nicht direkt schuldig geworden bin, weil ich nicht weiß, wie sie mit meiner Schuld umgehen, ob ich mich ihnen gegenüber rechtfertigen muss oder kann.
Unausgesprochene, unvergebene Schuld kann eine Gemeinschaft zerstören, kann das Miteinander in einer Gemeinschaft so sehr belasten, dass es paralysiert und ein gemeinsames Miteinander unmöglich macht. Wie befreiend ist es auf diesem Hintergrund, wenn wir alle miteinander zur Beichte gehen, wenn ich erfahre: Der Bruder, die Schwester neben mir hat vor Gott auch seine bzw. ihre Schuld bekannt, hat auch bekannt, dass er oder sie nicht besser ist als ich. Und indem ich nach vorne gehe, mache ich es auch öffentlich: Ja, auch ich bin in meinem Leben schuldig geworden an Gott von Pastor Martin Paul 2 und den Menschen; ich kann ohne Gottes Vergebung nicht leben.
Und dann empfangen wir alle miteinander, Seite an Seite, diese Vergebung Gottes, schenkt Gott uns damit einen neuen Anfang im Verhältnis zu sich, aber gerade auch in unserem Verhältnis untereinander. Wenn Gott dem anderen neben mir vergeben hat, dann kann ich ihn nicht mehr verachten, und ich weiß umgekehrt: Ich muss mich nicht vor den anderen rechtfertigen, wenn ich schuldig geworden bin, weil ich in der Gemeinschaft der Gemeinde darauf vertrauen darf, dass auch die Anderen ernst nehmen, was da vor Gottes Altar geschieht. „Durchbruch zur Gemeinschaft“ – so hat Dietrich Bonhoeffer darum die Beichte mit Recht genannt. Ja, in der Beichte wird die Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen und die Gemeinschaft untereinander wiederhergestellt und heil gemacht. Herzliche Einladung zur Beichte. Euer Pastor,